Unlautere Publizistik

Veröffentlicht August 2015

Vor einigen Tagen erschien eine Studie der Otto-Brenner-Stiftung mit dem Titel „Querfront – Karriere eines politisch-publizistischen Netzwerkes“. Von den Fans von Jutta Dithfurt und auch in der bundesdeutschen Presselandschaft wird sie regelrecht bejubelt, weil sie zu enthüllen scheint, was in der suspekten Welt jenseits der kapitalgesteuerten Medien geschieht.

„Ersten größeren Zulauf verzeichnete die Szene Anfang 2014, als viele unzufrieden mit der Berichterstattung über die Annexion der Krim waren,“ schreibt etwa die Berliner Zeitung. „Die Szene ist abgeschottet von der gesamtgesellschaftlichen Weltsicht und wird auch von den klassischen Medien ausgegrenzt.“ Wobei dieser Artikel schon in der Überschrift die Behauptungen der Studie in politische Währung ummünzt, mit dem reisserischen Titel „Was Pegida-Fans und Anhänger der Linkspartei verbindet“.

Ähnlich marktschreierisch reagierte das Medienportal Meedia: „Die Otto-Brenner-Stiftung knöpft sich die Verschwörungstheoretiker von Ken FM, Kopp Co. vor.“ Und weiter im Text wird die historische Resonanz für den Begriff „Querfront“ hergestellt: „Das in dem Papier der Otto-Brenner-Stiftung herausgearbeitete Verwischen von sehr linken und sehr rechten Gedankenwelten ist freilich kein neues Phänomen, das weiß Storz selbst auch. Schon im Vorfeld der Machtergreifung der Nationalsozialisten spielte in der Weimarer Republik ein Schulterschluss zwischen extrem rechtskonservativen und extrem linken Kräften eine nicht unwesentliche Rolle.“ Und, weiter unten: „Was die in dem Otto-Brenner-Papier organisierten Personen und Organisationen eint, ist ein destruktiver Geist, der sich gegen liberales Gedankengut, eine freie Gesellschaft und die repräsentative Demokratie richtet.“

Querfront, das war einmal ein relativ klar definierter Begriff. Wikipedia, das bei diesem Stichpunkt noch auf dem alten Stand ist, erklärt ihn so: „Der Begriff Querfront bezeichnet eine rechtsextreme Bündnisstrategie, die Gemeinsamkeiten zwischen den politischen Lagern betont oder zu konstruieren versucht, mit dem Ziel, die politische Macht eines Nationalstaats zu übernehmen“. Als Vorwurf gegen Linke wurde dieser Begriff während der Weimarer Republik vor allem gegen Kommunisten angewandt, die angeblich mit Nazis zusammengearbeitet hätten. Schon damals waren die Vorwürfe meist konstruiert und unbegründet; der beliebteste Fall, der angeführt wird, ist der Berliner BVG-Streik 1932. Selbst der Wikipedia-Artikel zu diesem Fall lässt erkennen, dass dieser Vorwurf vor allem eine sozialdemokratische Erfindung war, die von der Tatsache ablenken sollte, dass die SPD die Kontrolle über die Belegschaft der BVG verloren hatte. In Wirklichkeit hätte man den Vorwurf einer Querfront-Politik weitaus berechtigter gegen die Führung des ADGB erheben können, die am 1.Mai 1933 auf schmachvolle Weise mit den Nazis kooperierte, nur um einen Tag später die Erstürmung der Gewerkschaftshäuser beobachten zu dürfen.

Aber das ist Geschichte, und wer kennt sich schon noch aus in diesem komplizierten Feld der Weimarer Politik? Man müsste schon Richard Scheringer (Das große Los) oder Bodo Uhse (Söldner und Soldat) gelesen haben, um zu verstehen, welche reale Grundlage solche Vorwürfe hatten.

In der Studie der Otto-Brenner-Stiftung (einer Stiftung der IG Metall, nebenbei) wird der Einfachheit halber dieser Begriff erst gar nicht definiert, sondern im Vagen gelassen, als irgendwie stattfindende Zusammenarbeit irgendwelcher Linker mit irgendwelchen Rechten, oder daraus abgeleitet, manche Akteure würden sich als „weder links noch rechts“ bezeichnen.

In der politischen Wirklichkeit hat es allerdings für „Querfront“ zu einem veritablen Kampfbegriff gereicht, der dazu genutzt wird, ohne weitere Argumentation (von Belegen ganz zu schweigen) Personen und Medien selbst innerhalb der deutschen Linken in eine virtuelle Leprakolonie zu befördern. Dabei wird mit ganzen Kettenreaktionen gearbeitet – weil es eine Person A gibt, die tatsächlich eine Querfrontstrategie verfolgt, ist eine Person C, die mit einer Person B zusammenarbeitet, die mit Person A zusammenarbeitet, automatisch Adressat des gleichen Vorwurfs und damit „nicht mehr links“.

Auf genau die gleiche Art und Weise geht die besagte Studie vor. Es gibt einen einigermaßen dokumentierten Fall, den von Jürgen Elsässer, der tatsächlich Inhalte vertritt, auf die diese Bezeichnung zutrifft; dazu werden dann diverse andere Medien und Akteure gepackt, wie der Kopp-Verlag (der inhaltlich eindeutig rechts steht), Ken Jebsen, ddie Montagsmahnwachen, die gewissermaßen durch Kontakt, also durch Auftritte auf den selben Veranstaltungen, Interviews etc. schon mit Herrn Elsässer in ein Netzwerk gesteckt werden.

Wie zweifelhaft diese Bündelung ist, gibt der Autor Wolfgang Storz, sogar selbst zu erkennen: “Ein gemeinsames operatives Ziel des hier untersuchten Netzwerks ist nicht zu erkennen,weder ein publizistisches noch ein ökonomisches oder politisches. Es ist auch keine Strategie zu erkennen, wie das Netzwerk oder einzelne seiner Akteure systematisch mehr Einfluss gewinnen wollen und wozu sie diesen gegebenenfalls einzusetzen gedenken.”

Anders formuliert: er nennt diese Bündelung deshalb ein „Netzwerk“, weil die Grundlagen fehlen, um es ein Bündnis nennen zu können; mehr als eine Liste von „hat mal mit X geredet“ oder „ist mal mit Y zusammen aufgetreten“ hat er nicht zu bieten. Durch diese ziemlich großzügige, wenn nicht schlicht unwissenschaftliche Herangehensweise gelingt es ihm, sogar die Nachdenkseiten von Albrecht Müller mit hineinzuziehen, und ursprünglich benannte die Studie sogar Weltnetz.tv als Teil dieses Netzwerks, was nachträglich korrigiert werden musste. Sprich, das Ziel der Erfindung eines „Netzwerks“ bestand vor allem, alles, was nicht die Position der Konzernmedien wiedergibt, damit zu umfassen und auf einfache Weise zu delegitimieren.

Das Vorwort von Jupp Legrand, dem Geschäftsführer der Otto-Brenner-Stiftung, fasst das Etikett zusammen, das dabei herauskommen soll: „Ein Netzwerk, das sich mit Positionen auszeichnet, die einfach gestrickt sind, populistische Züge tragen und klare Fronten markieren: Volk gegen Eliten, Wahrheit gegen Lügenpresse, pro Nation und contra EU, gegen die USA und für Putin.”

Ja, natürlich, wenn ich Äpfel, Avokados, Birnen und Tomaten bündele, dann bleibt mir nichts Anderes mehr übrig, als über Obst zu reden. Aber welcher Erkenntnisgewinn ist dann noch möglich?

Nein, es geht der Studie nicht um Erkenntnis. Außer um politische Denunziation geht ihr um Verteidigung der “klassischen Massenmedien”: “Anschließend ist zu fragen, unter welchen Bedingungen es gelingen kann, jenseits der klassischen Massenmedien (eventuell sogar im konfliktiven Gegenüber zu ihnen) eine stabile, eigenständige, wirksame multimediale Öffentlichkeit aufzubauen. In dieser Gegenöffentlichkeit könnte ein weiteres Beispiel für die zunehmende Fragmentierung einer sich generell stark ausdifferenzierenden massenmedialen Öffentlichkeit gesehen werden.” Und, weiter unten, die Klage: “So ist die Hürde sehr niedrig geworden, eine eigenständige, wirtschaftlich und inhaltlich unabhängige (Gegen-)Öffentlichkeit aufzubauen, sehr niedrig geworden.”

Es mag bei einem ehemaligen Chefredakteur der Frankfurter Rundschau nicht verblüffen, dass er den Vertrauensverlust der Konzernmedien bedauert. Storz hat einen Teil seiner journalistischen Karriere allerdings bei der Zeitschrift “Metall” der IG Metall verbracht, die selbst im Grunde Gegenöffentlichkeit ist oder doch zumindest sein sollte. Jemand, dem so deutlich der sozialdemokratische Stallgeruch anhängt, sollte auch wissen, dass die politische Stärke der SPD zu Beginn des 20.Jahrhunderts mit auf ihrer Medienmacht beruhte, die aus 600 Tageszeitungen in ganz Deutschland bestand. Spätestens seit den 1970ern wurden die letzten Reste dieser einstigen Macht abgestoßen, und klügere Köpfe in der SPD könnten sich heute fragen, ob das nicht eine etwas kurzsichtige Handlung war. Sprich, die Entwicklung dessen, was “Gegenöffentlichkeit” genannt wird, war immer schon Teil des politischen Lebens, und es war einmal Konsens in den Gewerkschaften, dass Medien, die dem großen Kapital gehören, auch die Sicht des großen Kapitals auf die Welt wiedergeben und daher Medien, die die Sicht der Arbeiterklasse wiedergeben, unverzichtbar sind.

Nein, Storz beklagt, durch das Internet seien die Hürden so niedrig geworden. Als wäre grundsätzlich eine Situation, in der nicht nur die Besitzer großer Geldbeträge ihre Meinung veröffentlichen können, der Demokratie abträglich. Auch wenn die Linke in Deutschland bei den Namen Hugenberg oder Springer eigentlich keine freundschaftlichen Gefühle empfand, und die Macht, die beide Pressekonzerne zumindest eine Zeit lang besaßen, nicht wirklich als demokratiefördernd in den Geschichtsbüchern verzeichnet ist (Hugenberg spielte eine entscheidende Rolle dabei, die Faschisten dem deutschen Bürgertum näherzubringen).

Ins selbe Horn stößt der Schreiber des Vorworts: In dieser digitalen Welt ist es längst gängiger Alltag, dass viele Akteure grundlegende Begriffe wie Demokratie, Freiheit, Frieden und Gerechtigkeit, aber auch politische Orientierungsbegriffe wie rechts und links und schließlich Streitbegriffe wie Elite und Volk oder Freund und Feind fast beliebig mit eigenen Inhalten füllen und nach Gutdünken einsetzen. Vor diesem Hintergrund wiegt es noch schwerer, dass die traditionellen Medien, die sich der Aufgabe der Qualitätssicherung und Orientierung zu stellen haben, kontinuierlich nicht nur an Auflage und Reichweite, sondern bei ihrem breiten Publikum auch an Reputation und Vertrauen verlieren.”

Die “traditionellen Medien”, die “sich der Aufgabe der Qualitätssicherung und Orientierung zu stellen haben”? Das vom Geschäftsführer einer Gewerkschaftsstiftung? Ist von der einstmals profunden politischen Bildung in der IG Metall wirklich gar nichts mehr übrig? Es steht zu fürchten.

Sagen wir doch einmal, wie es ist. Die Pressefreiheit sei die Freiheit von 200 reichen Leuten, ihre Meinung zu verbreiten, hieß es einmal. Mittlerweile sind es längst keine 200 mehr, man kann sie an den Händen abzählen. Eine zweiteilige Untersuchung der Netzfrauen schafft hier den Überblick. Journalisten sind dabei alles andere als frei. Nicht nur, dass die Mehrheit von ihnen längst keine Festanstellung mehr erreichen kann und daher dauerhaft „passend“ schreiben muss; das Arbeitsrecht behandelt eine Redaktion als „Tendenzbetrieb“, in dem ein Verstoß gegen die Linie der Verleger ein legitimer Grund für eine Kündigung ist. Sprich, es ist sogar rechtlich zementiert, dass die einzige Person, die Meinungsfreiheit besitzt, der Besitzer der Zeitung ist (gleiches gilt für Fernsehanstalten).

Allerdings gab es, wie oben schon erwähnt, immer wieder Phasen, in denen daneben weitere Medien existierten. Ende der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts gab es eine ganze Reihe linker Wochen- und Monatszeitungen von unterschiedlichen Organisationen, es gab in jeder größeren Stadt wenigstens eine alternative Stadtzeitung, hunderte Betriebszeitungen und hunderte kleiner und kleinster Verlage. Eine Gegenöffentlichkeit! Wie entsetzlich!

Und war diese Gegenöffentlichkeit grundsätzlich anders als heute? „Die Akteure stellen ihre ‚Kommunikationsprodukte‘ technisch-organisatorisch weitgehend nach professionellen Kriterien her. Das heißt, Absender und Produzent sind klar zu identifizieren. Die Quellen, die für die Arbeit genutzt werden, werden meist offengelegt. Homepages, Videos und Printprodukte sind technisch und grafisch meist hochwertig, Konferenzen professionell und aufwendig organisiert. Im Mittelpunkt dieser Produkte stehen meinungsstarke Analysen, Standpunkte und Debatten, selten geht es um klassische journalistische Informationsformate wie Nachricht und Bericht, häufig um die journalistische Form des Interviews; auch bei ihr handelt es sich vor allem um einen Transport von Meinungen. Meist wird nur eine Perspektive verfolgt oder dargestellt: die eigene. Unter kommunikativen Aspekten folgen alle Akteure ausgesprochen selten dem Diskurs-, sondern zumeist dem Verlautbarungs- und Agitationsmodell. (…) Die Akteure sind keine anerkannten Sprecher von Organisationen oder gesellschaftlichen Gruppen. Sie positionieren sich in einer Mischung aus selbst ernanntem Anwalt (von Gruppen und deren Interessen), kommentierendem Experten von politischen Prozessen (Publizist, Intellektueller) und politischem Aktivisten.”

Ist Herrn Storz beim Schreiben auch nur einen Moment lang bewusst geworden, dass die Formulierung “Mischung aus selbst ernanntem Anwalt, kommentierendem Experten von politischen Prozessen und politischem Aktivisten” genausogut eine Beschreibung von Carl von Ossietzky sein könnte? Oder Kurt Tucholsky? Mithin keinesfalls per se disqualifiziert?

Macht nichts, stützen wir den Kampfbegriff „Querfront“ durch einen weiteren Kampfbegriff: „populistisch“. Hier ermannt sich Storz sogar zu einer Definition: „Populistisch ist, wem es sehr wichtig ist, sich ständig auf ‚das Volk‘ zu berufen, wer eine politische Elite an der Macht sieht, die sich weit von den (als homogen angesehenen) Interessen des Volkes entfernt hat, die eventuell sogar korrupt und moralisch verkommen ist, und wer es als wesentliches Ziel ansieht, diese machthabende Elite zu stürzen, um den Interessen des Volkes wieder Geltung zu verschaffen.” Nun, Herr Storz, Sie sind alt genug, um womöglich noch mit den Büchern von Bernt Engelmann politisch sozialisiert worden zu sein. Schauen wir doch nur auf einige Titel dieser Bücher (die allen, die sie nicht kennen, nur wärmstens ans Herz gelegt werden können): “Das Reich zerfiel, die Reichen blieben”; “Ihr da oben – wir da unten” und – hier wird es wirklich gefährlich – “Die Bilderberger.” Das war dann auch Populismus, oder? Wir reden nicht von den Quandts, Springers, Thyssen, Flick, Albrecht, Schwarz und wie sie alle heißen, nicht wahr? Es gibt niemanden, der davon profitiert, die besitzlosen Klassen auszubeuten. Keine Namen, keine Adresse, keine Geschichte. Keinen Lobbyismus. Kein Blut, das an diesen Vermögen klebt. Nebenbei, soweit ich weiß, war Bernt Engelmann Mitglied der SPD…

Natürlich verstehe ich das Dilemma des Herrn Storz. Er könnte ja Elsässer und die übrigen erwähnten dafür angreifen, dass sie die Klasse durch das Volk ersetzen, also so tun, als gäbe es keine einander entgegengesetzen Interessen in der Gesellschaft und keine ökonomischen Verhältnisse, die sie antreiben. Allerdings dürfte in der Otto-Brenner-Stiftung der Begriff der Klasse mittlerweile ebenso verboten sein wie die Erwähnung des Stricks im Haus des Gehängten. Was bleibt ihm dann als die Verwendung des Wortes “Populismus”? Schwierig nur, dass es Marxisten gibt, die die Studie des Herrn Storz ganz toll finden, dennoch – die sollten sich mal selbst an den Ohren ziehen.

Eher banal ist da die Tatsache, dass die Studie mit Unterstellungen arbeitet (durchaus geschickt, auf Seite 20, geradezu ein Lehrbuchmodell von scheinbarer Distanzierung und nachfolgender Verstärkung): “Aufgrund der inhaltlichen Positionen des Magazins gibt es anhaltend Gerüchte und veröffentlichte Andeutungen in Medien dahingehend, dass das wachsende Medienangebot der „Compact“-Mediengruppe (siehe auch unten) mit finanziellen Zuwendungen von Seiten staatlicher oder nichtstaatlicher russischer Institutionen aufgebaut werde. Zu diesem Aspekt wurde für die Studie nicht recherchiert. Von Jürgen Elsässer selbst gibt es anlässlich der Buchvorstellung „Putin – Reden an die Deutschen“ lediglich die ironisch gewendete Andeutung, man habe sich um eine Unterstützung für dieses Projekt bei russischen Institutionen bemüht, leider ohne Erfolg.” Ein weiteres Beispiel betrifft die Finanzierungsgrundlage, in diesem Fall von Ken Jebsen: “In dem Internetportal ruft Jebsen zu Spenden auf, unter anderem in Form von Jahresbeiträgen und monatlichen Daueraufträgen; eine transparent einsehbare Crowdfunding-Kampagne gab es bisher nicht.” Das Medienrecht kennt, im Gegensatz zum Parteienrecht, keinerlei Verpflichtung, Finanzierungsquellen offenzulegen, und den Einfluss, den große Anzeigenkunden bei den “traditionellen” “Qualitätsmedien” haben (neben dem der Besitzer, versteht sich), kann man nicht aus Finanzberichten ablesen, sondern nur in jenen Fällen erkennen, wenn Artikel oder Anzeigen nicht gedruckt werden… Ein drittes, ähnliches Beispiel betrifft die Reichweitenmessung, in diesem Fall für Videos im Internet: “Es sei an dieser Stelle noch einmal erwähnt, dass diese Messungen und Daten nur eine grobe Orientierung über die Resonanz geben; so können diese Klickraten aus Eigeninteresse systematisch erhöht, also manipuliert werden; ebenso bleibt für Außenstehende unklar, wie intensiv das jeweilige Medienangebot konsumiert worden ist.” Storz dürfte als Fachmann wissen, dass die Auflagenhöhe der Zeitungen beispielsweise verschenkte Exemplare mit einrechnet, ebenso wie Remittenden, und dass die Ermittlung der Zuschaueranteile der Fernsehsender ebenfalls nicht erfasst, ob der Zuschauer tatsächlich in der Küche steht oder den Rasen mäht, während der Fernseher läuft; sprich, sämtliche Daten zu Medienreichweiten sind unzulänglich. Storz erwähnt dies aber nicht, sondern erweckt den Eindruck, als beträfe dies nur die Daten jener Medien, die von ihm kritisiert werden.

Seine Vorstellung, was Medien zu tun hätten, um von ihm gelobt zu werden, macht Storz vor allem in einer Passage sichtbar (und sich als rechten Sozialdemokraten kenntlich): “Das ausgeprägte Interesse an den oben genannten Themen und Haltungen verbindet die Akteure ebenso wie die grundsätzliche Kritik an den hiesigen Verhältnissen und die Konzentration auf diese Kritik. So fällt auf, dass positive Anmerkungen über die heutigen Verhältnisse in Deutschland oder in der EU, über die demokratisch-repräsentative Gesellschaftsordnung und die ihr zugrunde liegenden Werte nie gemacht werden. Aus beidem kann abgeleitet werden, dass die Akteure nicht nur die Kritik am hiesigen privatkapitalistischen und an der Globalisierung ausgerichteten Wirtschaftssystem und an der repräsentativ-demokratischen Gesellschaftsordnung eint, sondern eine grundsätzliche Gegnerschaft zu ihr.”

Klar ist, Storz ist kein Gegner. Nicht nur kein Gegner der repräsentativen Demokratie, nicht einmal ein Gegner des “privatkapitalistischen Wirtschaftssystems”. Aber was er in diesem Absatz ausdrückt, ist altbekannt und weckt bei älteren Bundesbürgern ungute Erinnerungen an Tage, als die Treue zur fdGO der laufende Kampfbegriff war und die Treue am Besten durch Lobpreisungen der herrschenden Verhältnisse bekundet werden sollte.

Und abermals – “positive Anmerkungen über die heutigen Verhältnisse in Deutschland oder in der EU, über die demokratisch-repräsentative Gesellschaftsordnung [ein völlig neuer Begriff übrigens, nicht die Demokratie ist repräsentativ, sondern die Gesellschaftsordnung] und die ihr zugrunde liegenden Werte” – da wäre ihm bei den oben erwähnten Ossieztky und Tucholsky ebenfalls der Mund sauber geblieben. Welch ein auf den Hund gekommener Begriff von kritischer Presse, der in diesem Elaborat vertreten wird! Man darf kritisieren, gerne, ein wenig, aber man muss auch loben, loben, loben… Was würde Egon Erwin Kisch dazu sagen?

Wahrer Journalismus ist für Storz ohne Kotau nicht vorstellbar. Sich mit den herrschenden Verhältnissen zu arrangieren, ist ihm tief in die Seele geschrieben. Jede grundsätzliche Gegnerschaft zu ihnen ist im suspekt. Und damit greift er auf einer tieferen Ebene tatsächlich den ursprünglichen Gehalt des Begriffs Querfront wieder auf; als Vorwurf eines rechten Sozialdemokraten gegen Linke, die es wagen, den Klassenfeind noch Feind zu nennen. Er hätte eine gute, begründete Studie zu Elsässer schreiben können. Es war ihm (oder der Stiftung) wichtiger, alles anzugreifen, was NATO, EU und die Stellung gegen Russland nicht teilt.

Dabei muss man nüchtern sagen, selbst die höchste Reichweite all dessen, was er als Gegenöffentlichkeit subsumiert, ist gering, in einem Land mit 80 Millionen Einwohnern. Verblüffend ist vielmehr, mit welcher Hysterie auf eine kleine, überschaubare Zahl von Medien reagiert wird, die von der vorgegebenen Linie abweichen, obwohl sie letztlich nur Nadelstiche versetzen können. Man könnte es fast für ein Ablenkungsmanöver halten; die behauptete Gefährdung der Demokratie durch relativ winzige Medien soll wieder einmal von der viel realeren Gefährdung der Demokratie durch die Hugenbergs unserer Tage ablenken. Über die vermeintliche Linke nur noch in den freundlichsten Tönen reden. Und lieber interne Gefechte führen, wer mit wem im Café gesehen wurde und daher querfrontverdächtig ist.

Nein, Herrn Elsässer mag ich auch nicht. Aber ein Antifaschismus, der sich nur mit Kröppchen und Töpfchen beschäftigt und dabei übersieht, wie rechts oben (das ist als Klassenposition gemeint) faschistische Positionen beliebter werden und eifrig die Kriegstrommel geschlagen wird, ist keiner. Und wer sich auf die Studie von Herrn Storz bezieht, um “Querfrontler” zu identifizieren, sollte entweder überprüfen, ob er selbst nicht schon rechter Sozialdemokrat geworden ist oder noch einmal einen Lesekurs belegen.