Oberst Schneider und der General im Exil

Dieser Artikel stammt aus dem Jahr 2014. Leider sind viele der verwendeten Quellen, z.B. die Pressekonferenz in Slawjansk, heute nicht mehr online zu finden. Einiges davon findet sich aber im Video von RT. Die Quellen, die noch zugänglich sind, sind verlinkt.

Eine eigenartige Meldung brachte mich vor kurzem dazu, noch einmal über die Geschichte mit der vermeintlichen OSZE-Mission im April nachzudenken. Ein deutscher General wurde Stabschef bei der US-Armee in Europa.

Wie kam ich da vom Einen zum Anderen? Der deutsche General war zuvor Stabschef der deutschen Truppen in Afghanistan und kam von den Panzertruppen. Und da gab es eben noch jemand, der im Stab des deutschen Kommandos in Afghanistan war, und auch bei den Panzertruppen, und das war jener deutsche Oberst Axel Schneider, der Anfang Mai in Slawjansk gefangen saß.

Rekapitulieren wir einmal, wie die Affäre damals dargestellt wurde: eine Truppe von OSZE-Beobachtern unter deutschem Kommando wurde am 25.04. an einer Strassensperre der Milizen vor Slawjansk gefangengenommen. Nach zwei Tagen gab es eine Pressekonferenz mit diesen Personen. Nach einer Woche der Verhandlungen wurden sie freigelassen.

Allerdings war einiges an der Geschichte seltsam. Zuerst einmal handelte es sich nicht um OSZE-Beobachter. Dies hatte die OSZE selbst schon am 25. April erklärt. Tatsächlich hatte Oberst Schneider, der Leiter dieser Mission, am 23.04. dem Bayrischen Rundfunk ein Interview gegeben, in dem er als seinen Auftrag angab, die Einsatzfähigkeit der ukrainischen Armee zu überprüfen. Das klingt eher nach einem Militärberater.

Offiziell war dies eine Mission gemäß dem Wiener Dokument über Rüstungskontrolle und Vertrauensbildung. Schneider ist im Zentrum für Verifikationsaufgaben der Bundeswehr (ZVBw) mit insgesamt 140 Beschäftigten der Abteilungsleiter für diese Missionen; der Leiter des Zentrums ist ein Brigadegeneral, Jürgen Beyer. Letzterer war vor seiner jetzigen Position der Kommandeur des Zentrums für Nachrichtenwesen der Bundeswehr, des 2007 aufgelösten Versuchs der Bundeswehr in Richtung auf einen eigenen Militärnachrichtendienst (die Aufgaben wurden dem BND übertragen). Innerhalb des Zentrums für Verifikationsaufgaben befindet sich nach Aussagen der Süddeutschen Zeitung eine „Zweigstelle“ des BND. Axel Schneider, die Slawjansker „Geisel“, war vor seiner Versetzung zum ZVBw als Oberst im Generalsstab in Afghanistan nach einem Artikel in der Schweizer Zeitschrift ASMZ für das militärische Nachrichtenwesen zuständig, eine Tätigkeit, die man durchaus als geheimdienstnah bezeichnen kann. Dazu kommt, dass Schneider in seiner Dienststelle nur noch den Brigadegeneral Beyer über sich hat; es ist kaum anzunehmen, dass er zum Panzerzählen in die Ukraine gekommen war.

Die gesamte Gruppe, die in Slawjansk festgesetzt wurde, bestand aus vier Deutschen, einem Polen, einem Tschechen, einem Schweden, einem Dänen und fünf ukrainischen Offizieren. Nach einem Artikel im Neuen Deutschland wurden sie von Polizeifahrzeugen begleitet. Dennoch fuhr dieser Trupp zu einer Straßensperre vier Kilometer vor Slawjansk, obwohl sie eine Karte der Straßensperren dabei hatten. Und – die gesamte Gruppe war in Zivil.

Zu diesem Zeitpunkt war die Lage in Slawjansk alles andere als entspannt, auch wenn sich noch nicht abzeichnete, welche Brutalität das ukrainische Vorgehen noch an den Tag legen würde. Das Massaker von Odessa hatte noch nicht stattgefunden. Erste Anläufe der Junta, die Stadt von Polizeiesondereinheiten „Alpha“ stürmen zu lassen, waren an deren Weigerung gescheitert. Es kam täglich zu kleineren Gefechten an den Straßensperren, in Izjom wurde schon massiv Personal und Technik zusammengezogen, in Slawjansk waren einzelne Eindringlinge des Rechten Sektors festgenommen worden. Es hatte Einsätze von Militärhubschraubern gegeben und am 25. war in Kramatorsk ein ukrainischer Hubschrauber von den Milizen abgeschossen worden. Am Vortag hatte die ukrainische Armee aus Flugzeugen ein Flugblatt über Slawjansk abgeworfen, in dem der Bevölkerung Verhaltensratschläge für den Sturm der Stadt gegeben wurden. In den folgenden Tagen wurde dieser Sturm jederzeit befürchtet. Entfernte Beobachter hätten zu Recht einen anderen Ausgang erwarten können, als die vermeintliche OSZE-Gruppe auf die Straßensperre der Milizen traf.

Kaum war die erste Meldung über die Festsetzung der Gruppe durch die Ticker gerauscht, schwappte eine ungeheure Propagandaflut durch die deutschen Medien. Die „unberechenbaren Terroristen“ hätten „Geiseln“ genommen, darunter Deutsche. In der Pressekonferenz am 27.4. seien sie „vorgeführt worden“; Ponomarjow, der Slawjansker Bürgermeister, wurde als blutrünstiger Halbirrer dargestellt, dem schlicht Alles zuzutrauen sei. Die über jeden Verdacht erhabenen „OSZE-Beobachter“ wären in so großer Gefahr, dass man über einen Einsatz der KSK-Truppen nachdenken müsse…

Es war die Pressekonferenz, die mich irritierte. Genau genommen war es die Körperhaltung Schneiders, der während der gesamten Konferenz extrem angespannt schien und dasaß, als hätte er einen Stock verschluckt. Graham Phillips hat die gesamte PK aufgezeichnet; auf Youtube kann sich jeder selbst ein Bild davon machen. Alle um ihn herum wirken relativ entspannt, auch die anderen Angehörigen seiner Gruppe. Das ist nachvollziehbar; schließlich schafft die Anwesenheit der vielen Kameras einen sicheren, gewaltfreien Raum, in dem sie mehr Kontrolle über ihre Situation haben als in den Tagen zuvor. Warum verhielt sich Schneider anders?

Ich konnte mir zwei Gefühlslagen vorstellen, die zu solch einer Haltung führen. Die eine ist Panik, die andere unterdrückte Wut. Die Panik habe ich (das mag voreilig sein, ich weiss) als unwahrscheinlich gestrichen, weil ich davon ausging, dass er berufsbedingt mit bedrohlichen Situationen umgehen können müsste, und zudem (s.o.) unmittelbar tatsächlich keine Gefahr bestand. Also blieb Wut. Aber worauf hätte er wütend sein können? Und warum auf der Pressekonferenz?

Ort und Zeit schlossen die Slawjansker als Adressaten seiner Wut aus. Folglich musste dieser in Gestalt der anwesenden Presse vertreten sein. Schneiders Zorn war nach Deutschland gerichtet.

Gehen wir noch einmal zurück zum Augenblick der Gefangennahme. Die kleine Information, die Gruppe sei in Zivil unterwegs gewesen, ist höchst bedeutend. Wenn wir nämlich annehmen, dass alle Beteiligten die Situation bereits zu diesem Zeitpunkt als einen Krieg wahrnahmen (wir wissen ja, dass die Anti-Terror-Nummer ein Spielchen für den IWF ist), dann hat das Auftauchen von Militärangehörigen an oder hinter gegnerischen Linien in Zivil weitreichende Konsequenzen. Nach den Regelungen des Kriegsvölkerrechts gelten sie damit als Spione, selbst dann, wenn ihnen aktuell keinerlei Spionagetätigkeit nachgewiesen werden kann. Sie schnell abzuurteilen und zu erschiessen ist kein Kriegsverbrechen. Das wird auch Angehörigen der Bundeswehr schon in der Grundausbildung vermittelt. Es ist anzunehmen, dass Schneider mit seiner nachrichtendienstnahen Tätigkeit diese Verhaltensregel nicht vergessen hatte. Er dürfte keinesfalls wegen des netten Wetters die Kleidung gewechselt haben. Schließlich lautet selbst die Vorgabe des Wiener Dokuments, dass die Missionen in Uniform absolviert werden. Es ist anzunehmen, dass irgendjemand ihm und der ganzen Gruppe mit irgendeiner Begründung nahegelegt hat, Zivil zu tragen. Sollte dem so sein, so wurde er gezielt in eine wahrscheinlich tödliche Falle geschickt. Das würde seinen Zorn erklären.

Dieser rechtliche Aspekt erklärt auch, warum Ponomarjow Anfangs von Gefangenen, später aber von seinen Gästen sprach. Was die deutschen Medien als Verhöhnung der „Geiseln“ darstellten, war tatsächlich eine Botschaft. Sie lautete: wir wissen, was wir tun könnten. Und wir teilen Euch mit, dass wir das wissen, es aber nicht tun. Die Betonung des Ehrenworts in der selben Pressekonferenz bestärkte diese Botschaft noch einmal. Hinter dieser Form der Kommunikation, die zumindest für die deutsche Presse einige Lagen zu subtil war, darf man getrost Strelkow vermuten.

Schneider jedenfalls wusste, dass ihn jemand ins offene Messer hatte laufen lassen. Ihn und alle anderen Angehörigen dieser Gruppe. Es dürfte ihm auch bewusst gewesen sein, dass nur ein öffentliches Auftreten ihnen wieder Sicherheit verschafft; erst dann wäre es unmöglich, sie anlässlich eines Sturms auf die Stadt umzubringen, um hinterher zu erklären, das seien die „Separatisten“ gewesen. Die Aussage Ponomarjows, die besagte Pressekonferenz finde auf Wunsch seiner „Gäste“ statt, dürfte der Wahrheit entsprechen.
Drei Indizien bestärken diese Theorie. Das eine ist die Information, auf den Wagen, der die „Beobachter“ in die Freiheit transportierte, sei auf der vereinbarten Strecke auf ukrainischem Gebiet geschossen worden (ich nehme mal an, sie waren ohnehin in einem anderen Wagen auf anderer Strecke unterwegs). Das zweite Indiz ist das eigenartige Schweigen, das sich einstellte, kaum dass die Sache vorbei war. Die fehlenden Fragen der Presse nach den Hintergründen dieser Ereignisse müssen nicht mehr erstaunen; aber dass sie nicht weiter propagandistisch verwertet wurden, dass Oberst Schneider nicht von Talkshow zu Talkshow gereicht wurde, um von den schrecklichen „Separatisten“ zu erzählen, verwundert doch. So eine erstklassige Gelegenheit, noch einmal richtig einzuheizen, wird üblicherweise begeistert genutzt.

Das dritte Indiz ist der einzige Fall, in dem in den deutschen Medien die Informationsblockade tatsächlich durchbrochen wurde. Anfang Mai tauchte, unter Berufung auf eine Quelle im BND, die Meldung auf, in der Ukraine seien amerikanische Söldner im Einsatz. Diese Meldung blieb, leider, ohne Nachfolger. Es war also kein ernsthafter Versuch, die Richtung zu ändern. Es könnte aber ein kleiner Gruß gewesen sein, dass irgend etwas nicht genehm war. Da die ZVBw eng mit dem BND verbunden ist, ist es denkbar, dass diese Meldung mit der „OSZE“-Affäre verbunden ist.

Ziel des ganzen Manövers scheint gewesen zu sein, Deutschland möglichst schnell unmittelbar am Konflikt zu beteiligen. Wenn man betrachtet, wie die tatsächlichen Geschehnisse ausgeschlachtet wurden, mag man sich kaum vorstellen, was geschehen wäre, wären diese „OSZE-Beobachter“ dem vermutlichen Plan entsprechend in Slawjansk erschossen worden. Mit einem steinzeitlichen Racheschrei auf den Schlagzeilen hätte die BILD-Zeitung vermutlich den sofortigen Sturm auf Moskau gefordert.

Dennoch hätte irgendwann irgendjemand in der weiten deutschen Medienlandschaft die entscheidende Frage stellen müssen: wer hat dafür gesorgt, dass diese Gruppe in Zivil unterwegs war?

Was jetzt folgt, ist Spekulation. Gut, das ist die Deutung der Ereignisse als eine Art False-Flag-Aktion auch. Aber das war noch im Bereich einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit. Die Luft im folgenden Teil ist bedeutend dünner. Aber es ist eine Variante, die gleich zwei seltsame Geschichten logisch erklärt. (Und natürlich sage ich das auch, um rechtliche Konsequenzen zu vermeiden. Schließlich reden wir hier von gravierenden Straftaten).

Wer hätte dafür sorgen könne, dass diese Gruppe in Zivil unterwegs war? Einen direkten Befehl kann man vermutlich ausschließen. Ich kenne zwar das Militär nicht, aber ich kenne die öffentliche Verwaltung, und dort muss jede Anweisung dokumentiert werden. Ich gehe davon aus, dass das für militärische Befehle ebenso gilt, insbesondere, wenn sie gegen gültige Regeln verstossen. Es ist also nicht anzunehmen, dass der unmittelbare Vorgesetzte Oberst Schneider den Befehl erteilt hat, in Zivil herumzufahren.

Es ist eher unwahrscheinlich, dass ein entsprechendes Ansinnen seitens der ukrainischen Offiziere oder deren Vorgesetzten erfolgreich gewesen wäre. Schließlich war Schneider der Leiter der Mission, und deutsche Offiziere sind nicht wirklich frei von kolonialistischen Attitüden. Die besten Aussichten auf Erfolg hätte ein Deutscher. Es müsste eine Art freundschaftlicher Ratschlag von informierter Stelle sein. Nachdem sich Militärpersonal auch in den privaten Beziehungen gern nach Rang und Waffengattung sortiert, wäre der ideale Kandidat für solch einen freundschaftlichen Hinweis ein Offizier der Panzertruppen, der einen, maximal zwei Ränge über Oberst Schneider stand und mit dem er eine freundschaftliche Beziehung unterhielt (wenn diese Vermutung zutrifft, dürfte es damit jetzt vorbei sein). Nachdem über dem Oberst nur noch Generäle sind und deren Zahl in der Bundeswehr insgesamt gerade etwas über 200 beträgt, hält sich der Kreis der möglichen Kandidaten in überschaubaren Grenzen.

Und nun kommen wir zu der zweiten seltsamen Geschichte. Der neue deutsche General im Stab der US-Armee in Europa stammt aus den Panzertruppen und ist einen Dienstgrad über Schneider, allerdings erst seit zwei Jahren.

Wie gesagt, das sind jetzt Spekulationen. Ich habe keine Möglichkeiten, zu überprüfen, ob sich Schneider und Laubenthal jemals begegnet sind. Es ist nur irritierend, dass eine Person, die den naheliegenden Kriterien für den Aufsteller der Falle entspricht, auf einer Position auftaucht, die die Konsequenz einer solchen Handlung sein könnte (schließlich ist diese Beförderung ungewöhnlich genug, dass sie in den USA zu einiger Empörung geführt hat).

Nehmen wir einmal an, es gäbe eine Person X, die einen solchen vermeintlich freundschaftlichen Anruf getätigt hat. Da gibt es zwei Möglichkeiten: entweder dieser Anruf, und damit das ganze Manöver, geschah mit Wissen und Einverständnis von Teilen der Bundesregierung, oder es geschah ohne dieses im Auftrag einer fremden Macht. Im letzteren Falle könnte man gelassen davon ausgehen, dass Person X, selbst wenn es sich um eine befreundete fremde Macht gehandelt hätte, ein rasches, unauffälliges Ende gefunden hätte. Wir reden hier immerhin von etwas, wofür der §80 StGB, Vorbereitung zum Angriffskrieg, eine durchaus passende Bezeichnung wäre, das auch noch in Form einer Verschwörung, mithin einer terroristischen Vereinigung (sobald mehr als zwei Personen beteiligt waren), sprich, von Verrat einer wirklich beachtlichen Größenordnung. Das löst entweder eine Staatskrise aus oder es wird leise bereingt.

Was aber, wenn wir es mit der anderen Variante zu tun hätten? Also mit einer Verschwörung, die Teile der Regierung mit einbezieht und in der Person X nur ausführendes Organ war? Dann ist der Umgang mit Person X ein gewisses Problem. Sollte er sich innerhalb der Bundeswehr befinden (und das ist zumindest naheliegend), kann er keinesfalls dort bleiben. Schließlich ist die ganze Nummer alles andere als edel und dürfte das Vertrauen der höheren Ränge zueinander nicht wirklich steigern. Gleichzeitig ist die Lösung, die in der ersten Version gefunden werden dürfte, in der zweiten zumindest unklug. Wer weiss denn, ob Person X nicht irgendwo eine Lebensversicherung deponiert hat, mit allen unappettitlichen Details? Und wie soll man das Mindestmass an Vertrauen bewahren, das selbst zur Durchführung solcher Manöver erforderlich ist?

Die ideale Lösung wäre eine Beförderung auf eine Stelle außerhalb der Bundeswehr. Beispielsweise auf eine Stelle im Stab der US-Armee in Europa.

Wie gesagt, das ist Spekulation. Und normalerweise gibt es staatliche Stellen, die sich schon bei Vermutungen solchen Fragen widmen sollten. Eigentlich ist die entscheidende ungeklärte Frage der ganzen Affäre „OSZE-Beobachter“ ein Fall für die Bundesanwaltschaft.

Aber spätestens seit der NSU-Affäre wissen wir, dass mögliche Verschwörungen gegen die Verfassung innerhalb des staatlichen Apparates nicht verfolgt werden. Damals ging es darum, dass mit staatlichen Geldern gezielt aus den Nachrichtendiensten heraus Nazistrukturen aufgebaut wurden. Trotz mehrerer Untersuchungsausschüsse wurde diese Affäre nie so behandelt, wie sie hätte behandelt werden müssen. In diesem Fall könnte es sich um eine Verschwörung gegen die Verfassung aus der Regierung handeln, die nicht verfolgt wird.

Erinnerungen an die Weimarer Republik sind hier durchaus zutreffend.